Kleine Kulturgeschichte des Lexikons
Im Folgenden soll ein kurzer Blick auf die Geschichte des Lexikons im Allgemeinen, die bis in die Zeit der vorindustriellen Gesellschaft zurückreicht, sowie der beiden traditionsreichsten Lexika deutscher Sprache, des Brockhaus- und des Meyer-Lexikons, im Besonderen geworfen werden.
Inhaltsverzeichnis
- Die Aura des Lexikons
- Die Monumental-Lexika des 18. Jahrhunderts
- Brockhaus und Meyer
- Die Fusion
- Herder und Pierer
- Quellenangaben
Brockhaus und Meyer
Es folgten Lexikonausgaben, deren Schöpfer den Anspruch der umfassenden Wissensvermittlung keineswegs aufgegeben hatten, die in ihrem Umfang aber doch auf ein handhabbares Maß begrenzt waren. Zur angemessenen lexikalischen Ausdrucksform wurde der Kurzartikel, der alle wesentlichen Informationen in prägnanter Form enthalten, die wissenschaftliche Abhandlung aber nicht mehr ersetzen sollte.
Der Kaufmann und Verleger Friedrich Arnold Brockhaus war einer der ersten, der diesen Trend erkannte und ihn in der Praxis umsetzte. 1808 übernahm Brockhaus das 1796 begonnene, noch unvollendete Conversationslexikon des Leipziger Privatgelehrten Renatus Gotthelf Löbel und seines Kompagnons, des Advokaten Christian Wilhelm Franke. Ein Jahr später gab er das fertig gestellte Werk zunächst in sechs Bänden heraus; Bandwurmtitel der Ausgabe:

erschienen 1892 - 1895
Conversations-Lexicon oder kurz gefasstes Handwörterbuch für die in der gesellschaftlichen Unterhaltung aus den Wissenschaften und Künsten vorkommenden Gegenstände mit beständiger Rücksicht auf die Ereignisse der älteren und neueren Zeit.
Die zweite Auflage des Werkes, die von 1812 an erschien, umfasste bereits 10 Bände. Zur Maßzahl moderner Großlexika sollte später die 20 werden, die der Brockhaus allerdings erst in seiner 15. Auflage 1928 erreichte.
Die Brockhaus-Auflagen - inzwischen ist die 20. Auflage erreicht - erscheinen seit dem frühen 19. Jahrhundert in rascher Abfolge. In der Werkgeschichte sind lediglich zwei größere Lücken, jeweils vorwiegend kriegsbedingt, feststellbar:
Von der 14. Auflage, die erstmals 1892 erschien, bis zum ersten „großen Brockhaus“ Ende der zwanziger Jahre vergingen mehr als drei Jahrzehnte. Anschließend verstrichen wiederum fast 20 Jahre, bis 1952 der erste Nachkriegs-Brockhaus, gestrafft zu einer 12-bändigen Ausgabe, auf den Markt kam.
Zum einzig wahren und ebenbürtigen Konkurrenten des Brockhaus-Lexikons wuchs um die Mitte des 19. Jahrhunderts die Lexikonausgabe des Bibliographischen Instituts im hessischen Hildburghausen heran. Im Jahre 1839 trat dessen Gründer und Inhaber, der Verleger Joseph Meyer, mit einem Lexikon neuen Typs, wie er meinte, auf den Markt.

6. Auflage, erschienen 1902 - 1908
Meyers Idee: Ein lexikalisches Werk herauszubringen, das nicht nur den höheren Ständen vorbehalten bleiben, sondern einen Beitrag zur Bildung der breiten Volksmassen leisten sollte. Meyers Motto „Bildung macht frei“ verdeutlich den aufklärerischen Impuls, der sich mit diesem Vorhaben verband. Um Irrtümern gleich an dieser Stelle vorzubeugen: Der „Meyer“ war und ist kein „Volkslexikon“, der „Brockhaus“ kein „Bildungslexikon“. Die Unterschiede der ursprünglichen Konzeptionen beider Werke ebneten sich vielmehr rasch ein.
Das Bibliographische Institut ließ sich mit seinen überarbeitungen zumeist mehr Zeit als die Brockhaus-Konkurrenz. Von 1839 bis heute ist das Meyer-Lexikon in neun Auflagen erschienen. Einen besonderen Rang in der Werkgeschichte nimmt die 20-bändige 6. Auflage ein, die kurz nach der Jahrhundertwende herauskam und sowohl von der textlichen Aufbereitung als auch von der ästhetischen Gestaltung her als besonders gelungen gilt.
Es sollte nahezu 70 Jahre dauern, bis mit der neunten - und letzten - Auflage ein vergleichbares Großlexikon von Meyer erschien.
Was unterscheidet nun die beiden bedeutendsten deutschen Lexika der vergangenen 200 Jahre - und gibt es überhaupt wahrnehmbare Unterschiede? Der Brockhaus ist bekannter, der Meyer aber hat in der Fachwelt einen ebenbürtigen Rang.
In den früheren Auflagen des Brockhaus’, so urteilt der Bibliograph Gert A. Zischka, seien die Bereiche Völkerkunde, Geographie und Technik besonders gewichtet. Gleichwohl hält Zischka das Meyer-Lexikon in seinen älteren Auflagen für „reichhaltiger als die gleichzeitigen Auflagen von Brockhaus, namentlich in den historischen Fächern und Naturwissenschaften“.
Dem Brockhaus wird verschiedentlich eine eher „konservative“, dem Meyer eine eher „liberale“ Tendenz unterstellt. Dieses Urteil gilt aber als subjektiv und unzulässig verallgemeinernd und wird von führenden Lexikographen in dieser Pauschalität nicht geteilt.
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